Der Staatsfeind Nr. 1: Auf der Flucht

Diese Filmkritik zu Der Staatsfeind Nr. 1 erschien im Dezember 1998 auf indonet.de. Für mein Archiv habe ich sie hier neu publiziert. 

Weltuntergangspropheten gab es zu allen Zeiten, im Mittelalter wie in unserem Jahrhundert. Kurz vor einer Jahrtausendwende erreicht die Endzeitstimmung einen Höhepunkt, Millenarismus heißt das Phänomen. Diese Atmosphäre nutzt Tony Scott in seinem neuen Actionthriller Der Staatsfeind Nr. 1.Diesmal geht die Welt digital zugrunde. Korrupte amerikanische Politiker wollen einen Überwachungsstaat errichten, in dem jeder Bürger jederzeit von Spionagesatelliten und Riesenlauschanlagen der National Security Agency (NSA) überwacht werden kann. Einer der Gegner des Gesetzesvorhabens kommt bei einem Herzanfall ums Leben. Doch der Herzanfall war in Wirklichkeit Mord, Auftraggeber der Chef der NSA (Jon Voight). Den Mord hat zufällig ein Tierforscher aufgenommen – während er das Brutverhalten von Enten studierte.

Die brisante Video-Diskette steckt er seinem Ex-College-Kollegen Robert Dean (Will Smith) zu. Der ist inzwischen erfolgreicher Anwalt. Doch damit ist es von einem Tag auf den anderen vorbei – die NSA verfolgt auch ihn, vermutet sie doch, daß er ebenfalls von dem Mord weiß. Er wird in der Kanzlei gefeuert, da seinen Chefs Informationen über unsaubere Praktiken zugespielt werden, die ihn mit der Mafia in Verbindung bringen. Seine Ehe zerbricht, da seiner Gattin kompromittierende Fotos zugesandt werden. Seine Kreditkarten werden gesperrt. Deans bürgerliche Existenz ist zerstört.

Sein Heil sucht er fortan in der Flucht. Doch darauf ist die NSA vorbereitet: Ein Netz von Überwachungskaneras durchzieht das Land, anhand ihrer Bilder bleiben die Häscher immer dicht dran. Hochauflösende Satellitenbilder machen Verfolgungsjagden zu einem Kinderspiel. Unweigerlich ist der Vergleich dieser Orwellschen Schreckenswelt mit der vollkontrollierten Welt Trumans. Derart perfekt sind die Überwachungsmechanismen, daß das Leben eines einzelnen Amerikaners, egal wessen, von den stets schnüffelnden Augen live übertragen werden könnte. Ein Netz von Spionagesatelliten ermöglicht stets den besten Blickwinkel. Unterstützt von Hubschraubern entgeht den Spähern nur wenig.

Hilflos stünde Dean dem Technospektakel gegenüber, wäre da nicht Abhörexperte Brill (Gene Hackman), der noch eine alte Rechnung mit der NSA zu begleichen hat. Gemeinsam bereiten sie der ausgefeilten Nachrichtentechnik so manches Ungemach…

Wie schnell aus einer funktionierenden Demokratie ein totalitärer Überwachungsstaat werden kann, führt Tony Scott mit erschreckender Leichtigkeit vor: ein korrupter Politiker an der Spitze eines technisch hochgerüsteten Nachrichtendienstes, der die nationale Sicherheit beschwört, um eigene Vergehen zu vertuschen. Und Essig ist es mit den Menschenrechten.

Ein wenig simpel bleibt daher die Lösung, die Scott anbietet: In diesem System gibt es genug integre Kämpfer für die Demokratie. Das System überdauert alle Angriffe. Männer wie Will Smith verteidigen es. Der nächste Großangriff auf die Grundrechte steht schon in den Startlöchern: In Ausnahmezustand tritt Bruce Willis als Armeegeneral Devereaux die Grundrechte mit Füßen. Wehe, die Guten sterben einmal aus…

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