Diese Filmkritik zu Familiensache erschien im März 1999 auf indonet.de. Für mein Archiv habe ich sie hier neu publiziert:
Ne, wie traurig. Wird die traute Familienidylle im Americana-Städtchen durch die Krebserkrankung der Familienmatrone Kate (Mery Streep) aber arg belastet, das Töchterchen Ellen (Renee Zellweger) muß heim, um sie zu pflegen. Und als die gute Mutter stirbt, sind alle geläutert.Das ist die ebenso kurze wie banale Geschichte von Familiensache. Miss Hausmütterchen – auch „die“ Streep genannt – wurde für ihre Leistung mit einer Oscarnominierung bedacht. Wenn aber diese Leitung oscarwürdig ist, sind es alle ihre Leistungen. Denn als einzige Schauspielerin in Hollywood gelingt es ihr mühelos, hinter der Fassade einer betroffenen Ottilie-Normal-Hausfrau zu verschwinden.
Oder ist das eigentlich sie selbst? Wie auch Robert De Niro muß sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht eigentlich ihre Rollen dominiet, ob sie nicht schon längst hinter ihrem eigenen Image verschwunden ist. Dem Tode geweiht, changiert in Familiensache ihre Gesichtsfarbe immer mehr ins Graue, bis sie die Farbe des Kopfkissens angenommen hat.
Und so richtig offen mit den Kindern über den Krebs sprechen, an dem sie leidet, nein, das geht nicht, ist sie wohl zu prüde. Da braucht es dann schon die Krankenschwester, um das Eis zu brechen. Trotz allem kümmert sich ihre Tochter um sie, gibt für sie die Karriere als Journalistin in New York auf – ihr vergötterter Vater, der angesehene Literaturwissenschaftler George Gulden (William Hurt), hat dies von ihr gefordert. Ellen springt dem hilflosen Vater zur Seite, der mit seiner Lehrtätigkeit vollends ausgefüllt ist. Scheinbar erwartet man so etwas von einer Tochter. In Amerika.
Zwar fügt sie sich nur störrisch in die neue Rolle als Haushaltsorganisatorin, aber sie fügt sich. Der Schokokuchen gelingt nicht beim ersten Mal, ständig streitet sie sich mit ihrer kranken Mutter. Denn der beiden Verhältnis war noch nie das beste. Papa wurde angehimmelt, Mama fuhr Ellen schon mit acht Jahren über den Mund. „Das sind keine Baby-Kühe, Mom, das sind Kälber.“ Doch soviel Mißgunst hat die Frau, die ihren Haushalt, der aus dem Laura-Ashley-Katalog zu stammen scheint, total im Griff hat, nicht verdient. Das wird dem Zuschauer bald klar, das wird auch ihrer Tochter klar, die in ihre Fußstapfen tritt. Denn ihre Ehe mit George hält sie eisern aufrecht – obwohl sie von seinen zahlreichen Affären mit „besonders begabten“ Studentinnen weiß.
Für Ellen bricht hingegen ihr Weltbild zusammen: Der Fixpunkt, der Maßstab ihres Strebens ein Ehebrecher? Unvorstellbar. Und doch konfrontiert sie den weltfremden, lebensuntüchtigen Elfenbeinürmler mit der für sie bitteren Wahrheit: „Wie kannst Du Mutter betrügen, während sie im Sterben liegt?“
Mutter ist also doch die Beste, eine wahre Verantwortungsethikerin, aufopfernd, auch für die Kinder des Ortes – denn zu Halloween und Weihnachten sind die Festivitäten der Kaffeerunde, deren Mitglied Kate ist, nicht wegzudenken. Für sie gilt dabei das Lebensmotto: „Mehr ist mehr!“ Für diesen Film gilt: Nicht sehen ist mehr. Denn spätestens die wundersame Läuterung am Grab der Familienheiligen ist eine Schippe Tränenkitsch zuviel.