Diese Filmkritik zu Ein wahres Verbrechen erschien im April 1999 auf indonet.de. Für mein Archiv habe ich sie hier neu publiziert:
Das Knittergesicht reitet wieder. Clint Eastwood, Prototyp des toughen Amerikaners mit einem Schuß Zynismus, hat sich diesmal selbst inszeniert. Und das Augenzwinkern nicht vergessen. Denn daß Dirty Harry eines Tages mal als Journalist auf die Leinwand treten würde, war nicht unbedingt der nächstliegende Gedanke.Dabei sind die beiden Rollenbilder – Polizist und Reporter – einander gar nicht so fremd wie sie auf den ersten Blick scheinen. Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten begreifen beide als ihre Aufgabe. Der Cop, weil es sein Job ist, der Journalist, weil er es nicht lassen kann. Die vierte Gewalt setzt sich selbst in ihr Amt ein.
So auch Eastwood als strauchelnder Lokalreporter Steve Everett. Der Alkohol hat ihn, ehemaliger Redakteur der New York Times, an die Westküste verschlagen, ins sonnige Oakland. Abgestiegen, um gleich zwei Klassen. Nach dem Unfalltod einer Kollegin wird er auf die Geschichte eines Todeskandidaten angesetzt, mit dem ein Interview vereinbart worden war. Nur widerstrebend nimmt er den Job vom verhaßten Lokalchef (Denis Leary) entgegen – er war mit der Verstorbenen befreundet.
Aus dem Routinefall, einer Human-Interest-Story, wird aber sehr schnell ein Kampf gegen die Uhr. Denn Everetts Reporternase verrät ihm: Der verurteilte Frank Beachum ist unschuldig, er kann nicht der Täter sein. Zu viele Indizien deuten auf einen bislang unbekannten Täter hin. Doch bis zur Hinrichtung bleiben nur noch zwölf Stunden.
Eine vorhersehbare Geschichte, aber der erfahrene Regisseur Eastwood – Ein wahres Verbrechen ist seine 21. Regiearbeit – hält die Spannung, der ständige Kamerablick auf die Uhr ist auch ein ständiger Dreh an der Temposchraube. Trotz aller Konvention erweist sich der Oscar-Preisträger als erstaunlich modern. Seine Botschaft: Nicht immer kann es einen deus ex machina geben. Erwartet keine Rettung von der Justiz, von der Polizei, von den Medien. Denn auch diese Wächter müssen manchmal schlafen, haben ihre Schwächen. Die Welt aber ist ein Augiasstall.