Mifune: Ein Haus im Kornfeld

Diese Filmkritik zu Mifune erschien im Juni 1999 auf indonet.de. Für mein Archiv habe ich sie hier neu publiziert:

Skandinavien haben wir nicht nur Ikea zu verdanken, sondern auch zwei andere Trends der Neunziger: Handys und Dogma-Filme. Diese beiden bringt jetzt der älteste der Dogma-Regisseure, Søren Kragh-Jacobsen, zusammen. Der hat allerdings schon gestanden, die Dogma-Regeln nicht für unumstößliche Gebote zu halten.Über das Keuschheitsgelübde, das Lars von Trier und Thomas Vinterberg vor vier Jahren ausgetüftelt haben, ist viel gerätselt worden. Bislang verband man damit eine nackte, ungeschönte Darstellung menschlicher Abgründe. Am deutlichsten wurde das in dem Familiendrama Das Fest .

Kragh-Jacobsen erschließt mit seiner Geschichte von Kresten, der aufs Land geht, um die Hinterlassenschaften seines Vaters und auch die Zukunft seines behinderten Bruders Rud zu regeln, ein neues Spektrum. Ein verheirateter Mann (Kresten – Anders W. Berthelsen, der wie ein dänischer Mickey Rourke wirkt) und eine Dirne (Liva – Iben Hjelje) verlieben sich ineinander, streifen alle Fesseln des Alltagslebens ab. Einzig Handys verbinden diese Welt fernab der Zivilisation mit der Stadt. Beide Liebenden sind Meister der Verkleidung, Hohepriester der Lüge: Kresten hat seiner Frau nichts davon erzählt, daß er ein Bauernjunge aus Lolland ist, Liva ist Edelhure, gibt sich aber zunächst als Haushälterin aus.

Wenn das auch im Film nur so schnell ginge…

Stattdessen halten wir uns mit dem grotesken Geschlechtsakt der Hochzeitsnacht auf, zerbrechen uns den Kopf, wie Kresten seiner Frau verheimlichen konnte, aus welchen Verhältnissen er stammt, wundern uns, warum seine Familie bei der feierlichen Hochzeit nicht anwesend ist.

Kern der Geschichte ist die an sich anrührende Liebesbeziehung. Doch in einem europäischen Kunstfilm muß so etwas wohl immer mit Verweisen auf familiäre Abgründe dunkle Familiengeheimnisse werden vertuscht; Hure schafft an, um Internat für den Bruder zu bezahlen und andere Filme gespickt werden (Toshiro Mifune war ein japanischer Schauspieler), anstatt sich auf das starke Urmotiv einer befreienden Sommerliebe zu konzentrieren. Immer dann wird Mifune geradezu poetisch, die lyrischen Momente des schwierigen Zueinanderfindens von Hochstapler und Hure tun weh, weil sie so wahr sind – ähnlich wie in Besser geht’s nicht.

Der Rest der Schauspieler nervt da nur noch – ein paar Lacher auf Kosten des behinderten Rud (Jesper Asholt) springen heraus, treibende Haßattacken auf den nervenden Bruder Bjarke (Emil Tarding) der zauberhaften Liva, der diese mit Telefonanrufen belästigt jagen den Blutdruk in die Höhe. Aber es bleiben so ein paar Splitter zurück, die sich nicht in Einklang mit dem Rest des Films bringen lassen. Warum etwa heißt der Film denn nun Mifune? Krestens Verkleidung als Mifune, die seinen Bruder Rud unterhält, kann nicht ausreichen. Auch der Hinweis, daß nach der Hochzeitsszene eigentlich ein Ausschnitt aus dem Toshiro-Mifune-Film Die sieben Samurai gezeigt werden sollte, der Verleih dies aber nicht gestattete, erklärt nicht mehr. Warum arbeitet eine wunderschöne Frau (Liva) als Prositutierte, warum kann sie aus diese, Gewerbe beinahe problemlos aussteigen? Ist das vielleicht skandinavisch-solzialdemokratische Gemütlichkeit?

Während Das Fest, Dogma-Film Nr. 1, jedenfalls noch schockierte, langweilt Mifune, Nr. 3, nur noch.

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