Jackie Brown: Ich lasse nichts zwischen mich und meine AK 47…

Diese Filmkritik zu Jackie Brown erschien im April 1998 auf indonet.de. Für mein Archiv habe ich sie hier neu publiziert:

Regisseure und Drehbuchautoren töten häufig ihre Hauptdarsteller, um einen guten Film zu drehen – diese einfache Wahrheit gilt zumindest im Krimigenre. Aber wenn ein enfant terrible wie Quentin Tarantino eine Crime Story („Rum Punch“ von Elmore Leonard, der auch die Vorlage zu“Get Shorty“ geschrieben hat) verfilmt, kommt dabei mehr heraus als ein spannender Polizei-jagt-Gangster-Streifen mit ein paar Leichen am Wegesrand. Der Mann, der uns Pulp Fiction gebracht hat, erzählt nämlich nur vordergründig die Geschichte einer halben Million Dollar. Natürlich sterben ein paar Menschen – aber zum ersten Mal interessiert sich Tarantino, der auch das Drehbuch geschrieben hat, für die Psychologie seiner Figuren.

Denn wo „Kult“ draufsteht – und dieses Etikett haftet Tarantino seit seinem 94er Meisterwerk an – ist auch Kult drin. Jackie Brown ist kein skrupelloser Killer, der beim Töten Bibelverse zitiert, kein abgehalfterter Boxer, der im Rausch seinen Gegner umbringt, auch nicht Mr. Brown – nein, Jackie Brown ist eine Stewardess, Mitte 40, die ihre besten Tagen schon gesehen hat, und in einem Betrug ihre letzte Chance wittert.

Wieder einmal gräbt der Filmfreak Filmstars und Sternchen der Siebziger aus. Pam Grier, Filmheldin zahlreicher „blaxploitation-Filme“ (zum Beispiel Foxy Brown) und Robert Forster, der zugibt, aus finanzieller Not heraus in zahllosen Stinkern mitgespielt zu haben, drängen die anderen Stars in den Hintergrund. Robert DeNiro, Bridget Fonda und Michael Keaton spielen nämlich so unprätentiös und relaxed wie selten. Aber niemand ist so cool wie der Lieblingsschauspieler des ehemaligen Videothekars, Samuel L. Jackson…

Der Waffenhändler Ordell Robbie (Samuel L. Jackson) will sich nach einem letzten Coup mit geschmuggelten Feuerwaffen zur Ruhe setzen. Die Hälfte des Geldes, das er dafür benötigt, liegt schon im Tresor einer mexikanischen Bank. Aber als bekannter Krimineller kann er nur davon träu men, über die Grenze zu kommen. Ein Strohmann muß her, der die Kurierdienste für ihn übernimmt. Er besorgt sich eine Strohfrau, die 44jährige Stewardess Jackie Brown (Pam Grier). Diese führt ein einfaches Leben – die 16 000 Dollar Jahresgehalt erlauben keine großen Sprünge. Eine Verurteilung verbaute ihr eine ordentliche Karriere bei einer ordentlichen Airline: Ordell nennt ihren Brötchengeber „the shittiest shuttle-fuck-airline“.

Durch den Zoll kommt Jackie als Mitglied des fliegenden Personals beinahe unbehelligt, ist also die perfekte Schmugglerin. Eines Tages wird sie aber von Ray Nicolet (Michael Keaton) kontrolliert. Jemand hat offensichtlich gequatscht. Dieser Jemand, Beaumond, hat nicht mehr lange zu leben. Zwar sitzt er wegen unerlaubten Waffenbesitzes im Knast, aber ein Kautionsvermittler (Robert Forster) holt ihn da schon bald im Auftrag von Ordell raus. 10 000 Dollar do the trick. Als kleine Gegenleistung soll der so Freigekommene dem Waffenhändler bei einem Deal Rückendeckung geben. Doch das Geschäft gibt es gar nicht – auf ihn wartet seine eigene Hinrichtung in der neu erlangten Freiheit.

Mit Ordell ist nicht zu spaßen. Wer ihn betrügt, hat schon verloren. Bislang. Doch Jackie Brown gibt nicht auf. Das Spiel kann man auch noch in der letzten Minute gewinnen…

Ähnlich cool – tarantino-esk nent man das wohl inzwischen – sterben die Darsteller wohl nur in Filmen von John Woo und den Coen-Brüdern. Wer allerdings eine 1:1-Fortsetzung von „Pulp Fiction“ erwartet, wird das Kino enttäscht verlassen. Die ironisch gebrochenen Gewaltorgien in diesem Meilenstein sind einfach unübertre fflich. An dessen Thron zu kratzen, fällt ihm auch gar nicht ein. Statt dessen inszeniert er ein langsames Kammerspiel von sechs Leuten, die alles tun würden, um in den Besitz einer halben Million Dollar zu kommen. Die Figuren entwickeln ein Eigenleben. Alle Protagonisten wittern die letzte Gelegenheit, um für ihren Lebensabend auszusorgen. Der Waffendealer ist des dauernden „Hustlings“ überdrüssig, der zugekifften Braut fehlt die Eigenmotivation – denkt man zumindest, der Ex-Knasti hat es auch auf das Geld abgesehen. Doch nur einer wird am Ende Herr des Geldes sein…

 

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