Arlington Road: Biedermann oder Brandstifter?

Diese Filmkritik zu Arlington Road erschien im April 1999 auf indonet.de. Für mein Archiv habe ich sie hier neu publiziert:

Der amerikanische Traum hat schon Millionen von Einwanderern fasziniert. Als besondere Fans dessen outen sich häufig auch deutsche Exilanten wie die beiden Regisseure Wolfgang Petersen, Besuchermillionär mit Air Force One, und Roland Emmerich, Umsatzmillardär mit Independence Day. Untrennbar mit diesem Traum verknüpft ist auch der Glaube an ein Recht zur Selbstverteidigung, das das Tragen einer Waffe erlaubt.Bis vor ein paar Jahren war es in der amerikanischen Gesellschaft noch unumstritten, daß dies ein elementares Bürgerrecht sei, ganz so wie „life, liberty and the pursuit of happiness“. Einschränkungen dieses Rechtes – etwa in besonders von der Gewaltkriminalität betroffenen Städten – riefen deshalb regelmäßig den Zorn der radikalen, aber auch der gemäßigten Rechten hervor.

Dann bricht es hervor, dieses Krebsgeschwür, das so amerikanisch ist wie Hot Dogs und Barbecue, Cheerleaders und Home Runs, Suburbia und Einkaufszentren: Waffenverliebtheit. Der nette Buchhalter von gegenüber ist stolz, eine Sammlung von Winchester-Gewehren sein Eigen zu nennen, der Familienvater nebenan hat Probleme, wegen des Wertes seiner Pistolen eine Hausratversicherung für sein Haus zu bekommen.

Denn die National Rifle Association (NRA) hat strengere Waffengesetze noch fast immer verhindert. Der Verein, Sammelbecken für Millionen „guter Amerikaner“, die das Recht zur Selbstbewaffnung aus der Verfassung ableiten, betreibt seit Jahrzehnten erfolgreiche Lobbyarbeit.

Ebenso fanatisch hassen die Rechten – oder Konservativen, wie sie sich selbst nennen, – den Staat. Klar, sie lieben ihre Nation, aber einen „Vater Staat“ lehnen sie ab. Jede Steuer ist Ausbeutung, eine Steuererhöhung Beweis der Willkürherrschaft von „denen in Washington“. Oft genug sind Politiker mit dem Versprechen angetreten, innerhalb des „Beltway“, des Autobahngürtels, der Washington umschließt, für frischen Wind zu sorgen – und gescheitert. Zuletzt Bill Clinton.

Und doch: Die Welt außerhalb dieses Dunstkreises, dieser Bannmeile, ist eine andere. Lattenzäune, breite Einfahrten, Anliegerstraßen, auf denen ein LKW rangieren könnte: Das ist Suburbia, USA. Weiträumig, mittelständisch, kleingeistig. Ein Idyll der Nachbarschaft.

Stop: Mit diesem Vorurteil räumt Mark Pellington gründlich auf. Er zeichnet in Arlington Road das Bild einer Gesellschaft, in der Nachbarn einander nicht mehr kennen, in der surrende Klimaanlagen und klackernde Rasensprenger die einzigen Anzeichen für Leben sind. Steril, abgestumpft, eingezäunt. Schon im Vorspann schaffen ins Negativ kopierte Bilder von hoch aufragenden Lattenzäunen und sanft abfallenden Dachschrägen ein Gefühl von Klaustrophobie.

Wie in einen Käfig hat sich Michael Faraday (Jeff Bridges), Geschichtsprofessor und Terrorismusexperte, nach dem Tod seiner Frau in diese Welt der Vorstadt zurückgezogen. Hat sich mit seinem Sohn Grant hinter Jalousienlamellen verschanzt. Als er eines Tages von der Uni zurückkommt, wird er in die Welt zurückgezwungen, überfährt er doch beinahe ein Kind, das blutüberströmt wie in Trance über die Anliegerstraße wandelt. Das Kind seiner Nachbarn, wie er im Hospital erfährt. Der Junge hat sich beim Spielen mit Feuerwerkskörpern schwere Verbrennungen zugezogen. Nett sind sie, die Eltern, Oliver und Cheryl Lang (Tim Robbins und Joan Cusack), man freundet sich an.

Aber wer wie er Vorlesungen über Terrorismus hält, traut der perfekten Familienatmosphäre und der makellosen Biographie nicht. Die Paranoia ist Beruf geworden, auch zum Selbstschutz. Denn seine Frau kam bei einem mißglückten FBI-Einsatz ums Leben, rechtsradikale Terroristen waren ihr Aufgabengebiet. Michael hat Zweifel: Ist Oliver wirklich Bauingenieur, oder ist er ein Terrorist? Und seine umsichtige Frau, die den Haushalt so toll im Griff hat? Nee, kann doch keine Verschwörerin sein. Oder doch? Waren die Feuerwerkskörper nicht vielleicht eine Bombe?

Wenn es doch so spannend wäre, das böse Spiel der Musterbürger zu entschlüsseln. Die Mienen der Kinder verraten aber schon bald: Uh, da ist was faul im Staate Suburbia. Adrett gekleidet, wortkarg, immer höflich, das Haus penibel sauber, manikürter Rasen: die Idylle gerät eine Idee zu perfekt.

Schon immer gab es in Amerika Angst vor Verschwörungen. In Salem brannten „Hexen“ auf dem Scheiterhaufen, in den Fünfzigern machte Senator McCarthy Jagd auf kommunistische Gespenster, heute glauben viele Amerikaner, die Menschen seien nicht allein auf dieser Welt – und die Regierung würde ihnen dies verheimlichen. Die Akte-X-Endzeitstimmung greift um sich. Die in Washington kümmern sich doch nicht um die Nation, heißt es. Manchmal schwingen sich dann Attentäter auf, die Symbole dieser Politikerkaste aus dem Weg zu räumen, Amerika den Amerikanern zurückzugeben.

Für Hollywood war der Angriff auf Instanzen der Zentralgewalt, auf die Elite in Washington, stets ein großes Thema: John Malkovich trachtete in In the Line of Fire dem amerikanischen Präsidenten nach dem Leben, Bruce Willis wollte in Der Schakal die First Lady umbringen, ein machtgieriger FBI-Agent räumte in Spiel auf Zeit den Verteidigungsminister beiseite, der angeblich die Nation verriet. Sich als Märtyrer opfern, für etwas Höheres, muß ein cooles Gefühl sein.

Doch soviel Einsatz zeigen Terroristen in den Neunzigern nicht mehr. Ehren Kruger macht mit dem einzig brillanten Twist in seinem Drehbuch den nichtsahnenden Geschichtsprofessor zum wahren Attentäter: ein trojanisches Pferd des Terrorismus. Er lag zwar richtig, die Nachbarn wollen die Regierung stürzen, aber wie ein tragischer Held stolpert Michael Faraday ins Verderben, da ihm niemand glaubt.

Und der Zuschauer weiß das alles. Pellington schafft es nicht, Fährten subtil zu legen. Sonstige Überraschungen: Fehlanzeige. Von Persil-Reinheit ist das Familienidyll der Langs, dabei gibt es so etwas seit den Fünfzigern nicht mehr, einmal von Pleasantville oder Die Truman Show abgesehen. Damit dann aber auch der Vierjährige in der letzten Reihe versteht, daß der biedere Bauingenieur ein Wolf im Schafspelz ist, muß er auf einer höllenartigen Party den gewalttätigen Gastgeber mimen. Unnötig, nein, anbiedernd die dauernden Hinweise, daß es da ein zweites Gesicht hinter der Fassade gibt.

Aber was macht den Rezensenten so wütend? Das verschenkte Potential. Eine brillante Plotidee wurde liegengelassen, wirkt jetzt wie an einen anderen Film drangepappt. 8 Minuten vielleicht – höchstens – sind sehenswert: der Vorspann und der surreale Showdown, für beides gibt es je einen halben Stern. Nur dann zieht dieser Versuch eines Terrorthrillers den Zuschauer in den Bann. Aber der Rest! Nur eins noch: Würde ein genialer Bombenleger wirklich die Baupläne der Gebäude, die er in die Luft zu sprengen gedenkt, derart dillettantisch in Bilderrahmen verstecken?

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